Mein Opa klingt mir heute noch im Ohr: "Junge, behandele dein Gegenüber so, wie du selbst behandelt werden möchtest!" Das leuchtet ein. 39 Jahre lang. Und dann schlagartig nicht mehr. Denn diese Lebensweisheit hat einen gravierenden Fehler. Und über den möchte ich im Hartig-Blog für den März gerne sprechen.
Das Feld der zwischenmenschlichen Beziehungen ist weit und beileibe kein Leichtes. Zu schnell kommen Befindlichkeiten auf, werden Gefühle verletzt, entstehen Emotionen. Wer sich dem entziehen will, muss ein Leben als Einsiedler führen. Alle anderen müssen sich arrangieren und Bewusstsein entwickeln. Ein millionenschwerer Berufszweig widmet sich diesem Thema. Dabei hat mein Opa mir als Kind schon diesen weit verbreiteten Grundsatz der parktischen Ethik beigebracht: „Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.“ Und damit hat er sich deutlich von meinem Klassenlehrer in der Grundschule abgesetzt. Der hatte nämlich nur die Negativversion parat, die wir uns bei den täglichen Rauferein auf dem Schulhof anhören mussten: „Was du nicht willst, das man dir tut, das füge auch keinem andern zu“.
Hat man beruflich mit Menschen zu tun - und das trifft wohl auf die allermeisten Fahrlehrerinnen und Fahrlehrer zu - bekommt diese goldene Regel eine weitere Dimension. Als Dienstleister bin ich ja geradezu verpflichtet, mit meinem Gegenüber gut auszukommen. Die blutige Nase vom Schulhof ist dabei nicht das Problem sondern das Loch in der Kasse wenn's nicht klappt.
Und so verteilen wir Tag für Tag an unsere Mitmenschen die verbalen und physischen Streicheleinheiten, die wir selbst gerne empfangen möchten. Mit bester Absicht. Und manchmal voll gegen die Wand. Das Ergebnis formulieren wir dann so: "... da kann ich machen was ich will, da stimmt einfach die Chemie nicht!"
Der Grundsatz meines Opas ist bei mir im Frühjahr 2010 buchstäblich implodiert. Als Mitarbeiter der Springer Fachmedien München GmbH durfte ich an einem "Führungskräfte-Programm" teilnehmen. Das war eine über das Jahr verteilte, mehrtägige und sündhaft teure Seminarreihe. Zeit hatte ich damals schon keine, Bock auf langwierige Seminarspielchen auch nicht. Und umso verwunderter war ich, als irgendwann in meinem Mailpostfach eine Einladung zu einem Persönlichkeitstest lag. Der war Bestandteil der Seminarreihe. In meiner Überheblichkeit hatte ich das als "Brigitte-Frisör-Test" abgetan, gar nicht ernst genommen kurzerhand gemacht und auch gleich wieder vergessen.
Monate später im Seminar, bekam ich mein "Persönlichkeits-Profil", also das Ergebnis des "Frisör-Tests" und so viel vorweg: Selten in meinem Leben war ich so verblüfft, wie an jenem 5. April 2010. Was da auf wenigen DIN A4 Seiten stand, passte wie die Faust auf's Auge. Vor mir lag eigentlich so etwas wie die Bedienungsanleitung für den zwischenmenschlichen Umgang mit mir. Und was ich da las, stimmte exakt! Und was die anderen Seminarteilnehmer über sich lasen, stimmte offensichtlich genauso! Und natürlich haben wir die "Persönlichkeits-Profile" sofort nebeneinander gelegt. Abgeglichen. Hinterfragt. Ausprobiert. Und bestätigt.
Diese Profile sind heute keine Kaffeesatzleserei mehr. Sie beruhen auf dem DISG-Modell wobei die vier Buchstaben für die Grundtypen Dominaz, Initiative, Stetigkeit und Gewissenhaftigkeit stehen. Das Verfahren beschreibt nach dem Prinzip der Selbstbeschreibung bestimmte Ausprägungen von Verhaltenstendenzen bei einem bestimmten Typus. Aus den vier grundlegenden Verhaltensdimensionen ergeben sich unter der Berücksichtigung der unterschiedlichen Kombinationsmöglichkeiten viele, verschiedene Verhaltenstendezen. In der Personalentwicklung liefern diese Testverfahren seit über 30 Jahren verlässliche Ergebnisse. Der Allgemeinheit sind sie in der Regel nicht bekannt. Sie sind Personalabteilungen und teuren Manager-Seminaren vorbehalten und damit nahezu unbezahlbar.
Doch nun zurück zu meinem Opa. Denn seine goldene Regel stimmt nach dieser Erkenntnis eigentlich nicht mehr. Mein Gegenüber möchte nur dann so behandelt werden, wenn er die gleiche Typologie bzw. die gleichen Verhaltenstendenzen hat wie ich. Und das gemeine an den vier Grundausrichtungen: Sie sind komplementär! Das bedeute, was den Dominaten beflügelt, lähmt den Stetigen und umgekehrt. Der Gewissenhafte hasst das Chaos des Initiativen. Der Initiative empfindet den Gewissenhaften als "Lahmarsch" oder "Bremser". Das anerkennende "Schulterklopfen" ist nur für Dominate und Initiative eine Bereicherung, die anderen empfinden es mit großer Wahrscheinlichkeit als unangenehm.
Und da ist sie eigentlich, die Bedienungsanleitung für den zwischenmenschlichen Umgang. Wenn die Chemie nicht stimmt, hat das was mit unterschiedlichen Typologien zu tun. Wer weiß, welche Verhaltenstendenzen den Typologien zu Grunde liegen, kann darauf Rücksicht nehmen. Entwicklungspotenziale erkennen. Kunden binden. Verkaufsgespräche optimieren. Mitarbeiter besser führen. Im Fahrschulauto zielführender arbeiten.
"Behandele dein Gegenüber so, wie du selbst behandelt werden möchtest", ist überholt.
Heute muss es heißen: "Behandele dein Gegenüber so, wie sie/er behandelt werden möchte!"
Doch dafür braucht es Know How und Kenntniss über die eigene Typologie und Verhaltenstendenzen und natürlich über die der Anderen. FORTBILDUNG33.de hat genau das in die Fahrschulbranche eingeführt. Als Pilotprojekt "Fokus Persönlichkeit". Im Rahmen einer Fahrlehrerfortbildung nach § 33a (1) FahrlG. Mit erstaunlichen Ergebnissen. Aber machen Sie sich einfach selbst ein Bild davon, wenn Sie dafür schon bereit sind.