Die Kampagne ist von Opel und sie ist gut. Dinge, über die wir ein vorgefertigtes Urteil haben, sehen wir oft überhaupt nicht mehr. Wir sind blind. Betriebsblind. Umparken kann helfen. Vorurteile abbauen. Gewohntes hinterfragen. Neu entdecken.
Vielleicht ist es an der Zeit, den Theorieunterricht in Fahrschulen umzuparken. Mich beschäftigt das schon seit längerer Zeit. Und diesen Gedanken möchte ich Ihnen im Hartig-Blog für den November skizzieren.
Wer Fortbildungsmodule besucht, die von mir geleitet werden, hört es gleich zu Beginn. Ich bin ein Fahrschulkind. Mein Vater war schon Fahrlehrer. Und wie viele andere Fahrschulinhaber auch, hatte er eine Haupt- und eine Zweigstelle. Beide wollten mit Theorieunterricht bedient werden. Die Hauptstelle immer Dienstags und Donnerstags, die Filiale immer Montags und Mittwochs. Über Jahrzente hinweg gab es damit 4 mal pro Woche Unterricht. Immer von 19:30 bis 21 Uhr. Fahrschüler konnten sich den Unterricht mit diesem System sogar "flexibel" einteilen.
1993 wurde ich Fahrlehrer. Zwei Jahre später übernahm ich die Fahrschule meines Vaters. Und auch sein Unterrichtsrhythmus. Der hatte sich ja bewährt und wurde von mir nicht eine Sekunde lang hinterfragt. 2002 verkaufte ich die Fahrschule um meine Arbeitskraft in die Dienste der Springer Fachmedien München zu stellen.
Und ich glaube, Sie ahnen schon, was mein Nachfolger in Sachen Unterrichtsrhythmus gemacht hat? Richtig. Er hat ein bewährtes System übernommen: Immer Dienstags und Donnerstags. Von 19:30 bis 21 Uhr. Seit 1970. Und das hat er selbstverständlich fortgeführt.
In den Modulen "Unterrichtsgestaltung mit PC-Professional" und den "Unterrichtskonzeptionen" befrage ich meine Teilnehmer heute, wie oft sie aktuell Unterricht halten. "Zwei Mal pro Woche und Filiale" höre ich da. Auffallend oft. Ausnahmen davon sind eher die Ausnahme.
So weit so gut. Never touch a running system. Das hat sich zwischenzeitlich ja seit 45 Jahren bewährt. Oder etwa doch nicht?
In den o. g. Modulen diskutieren wir auch die Sorgen und Nöte von uns Fahrlehrern bei der Gestaltung von Unterricht: Smartphones. Schüler, die gar keine richtige Lust auf Führerschein haben. Zeitnot. Aus BF17 wird regelmäßig BF19. Helikoptereltern, die mit dem vollausgebuchten Terminplan ihrer Kinder vorstellig werden. G8. Klavierstunde, Karriere und Mathearbeit - alles ist wichtiger als Führerschein.
Und dann kommt er, der Wunsch nach früher. Da war alles besser. Handys gab es nicht. Google auch. Damals waren die noch motiviert. Die wollten den Führerschein. Waren geduldig und diszipliniert. Fahrlehrer standen auf Augenhöhe mit Bürgermeister und Dorfpfarrer. Der Untericht wurde über Wochen konsequent durchgezogen. Die Welt war noch heil.
Passt denn der bewährte Unterrichtsrhythmus wirklich noch in die heutige Zeit? Wollen Ihre Kunden denn wirklich ein flexibles, offenes System?
Klar werden Sie sagen. Und wenn mein Kunde bereit ist, ein paar Kilometer weiter in die Filiale zu fahren, kann er sogar mehr als zwei Unterrichte pro Woche haben. Das schafft ihm Freiräume, ist kundenorientiert, hält ihn flexibel - und ist meilenweit an den Bedürfnissen der "Generation Z" vorbei.
Meinen Autoführerschein habe ich 1988 gemacht. Selbstverständlich hatte ich die Prüfung bereits vor dem 18. Geburtstag bestanden. Fleißig habe ich die Theorieunterrichte abgearbeitet. Wochenlang. Theorie drei Monate und praktisch vier Wochen vor dem 18. bestanden. Und ich weiß es noch wie heute: Der Geburtstag fiel auf einen Samstag. Und ich wollte gar nicht aufstehen. Denn Volljährig war man nur mit Führerschein, aber den hatte ich am Samstag nicht ausgehändigt bekommen. Sch****!
Und heute? Ist es für Fahrschüler noch wichtig, wann sie den Führerschein haben? Ist es nicht so, dass aus BF17 sehr oft BF19 wird? Brauchen die den Führerschein, um volljährig zu sein? Nein. Und ich erzähle Ihnen nichts Neues. Sie wissen es besser. Der Stellenwert des Führerscheins rangiert schon lange nicht mehr an erster Stelle auf der Wunschliste Ihrer Kunden.
Für die Generation Z ist nicht wichtig, ob der Führerschein pünktlich mit 17 oder 18 vorliegt. Wichtig ist, dass er zeitlich untergebracht wird. Er darf nicht mit Prüfungen und dem Abi kollidieren. Er muss zwischen Fußballtraining und Klavierstunde passen. Ach ja, und er muss irgendwie zwischen die 35 Wochenstunden Schule gepresst werden. Und da passt das Unterrichtssystem von 1970 vielleicht nicht mehr.
Wollen die wirklich wochenlang zum Unterricht kommen? -> Nein, denn dafür haben sie gar keine Zeit.
Wollen die Filialhopping betreiben, um "schneller fertig zu werden". -> Nein, sie wollen eine Lösung für ihr Zeitproblem.
Wollen die Gestaltungsspielraum und Flexibilität bei der Einteilung ihrer Theorieunterrichte? Nein, sie wollen abhaken. Erfüllen. Erledigen. Die wollen einen Fahrplan. Monate im Voraus. Wie in der Schule. Das nächste Projekt. Der nächste Kurs. Die nächste Prüfung.
Und es gibt sie ja zwischenzeitlich und vereinzelt. Die ersten Fahrschulen haben diese Zeichen erkannt. Und statt sich über die Unregelmäßigkeit der Theoriebesuche ihrer Kunden zu beschweren, haben sie das Sytem von 1970 verlassen. Sie haben den Theorieunterricht umgeparkt. Geschlossene Kurssysteme. 14 Unterrichte in acht Werktagen. Am neunten Tag die Theorieprüfung. Den Rest vom Monat keinen Unterricht. Dafür Öffnungszeiten um den nächsten Block zu sammeln.
Und anscheinend funktioniert das. Helikoptereltern melden mit dem gezückten Terminkalender ihrer Kinder diese schon heute für den Märzblock 2016 an. Acht Tage. Verbindlich und fest eingetragen. Klavierunterricht hat da dann Pause. Die Halbjahreszeugnisse der Schule sind gerade durch. Mission Führerschein abgehakt.
Das wird nicht gehen? Denken Sie nach und schreben Sie mir warum nicht. Parken Sie um! Zuerst im Kopf. Und dann im Theorieunterricht. Die Zeit ist reif dafür.
Ihr Nils Hartig